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Der „Steinerkelch“ aus der Kapelle des KZ Dachau
Pfarrer Heinrich Steiner mit dem Kelch aus der Dachauer Lagerkapelle. Foto: Linzer Kirchenzeitung
Der „Steinerkelch“ aus der Kapelle des KZ Dachau
Ein Artikel von Klemens Hogen-Ostlender
Der Marsch für Märtyrer am 28. September 2024 hat zu einer Überraschung geführt. Durch den Bericht einer Teilnehmerin wurde uns bekannt, dass der ehemalige Häftling Pfarrer Heinrich Steiner nach der Befreiung 1945 einen Kelch aus der Kapelle des Priesterblocks mit in seine österreichische Heimat genommen hat.
Pfarrer Steiners Schicksal ist bedenkenswert:
Steiner wurde am 25. Mai 1907 in Grieskirchen in Oberösterreich geboren. Seine Mutter Maria Steiner heiratete später einen anderen Mann. Aus dieser Ehe stammten drei Halbgeschwister Heinrichs, der bei seinen Großeltern Matthäus und Theresia Steiner aufwuchs. Nach deren Tod kam der Junge mit elf Jahren zu seiner Mutter. Nach dem Abitur studierte er an der Diözesan-Lehranstalt in Linz Theologie und empfing am 29. Juni 1931 im Dom zu Linz mit 21 anderen jungen Männern die Priesterweihe. Nach einem Jahr als Alumnatspriester im Seminar wurde er Kooperator in zwei Pfarrgemeinden der Diözese Linz und übernahm am Silvestertag 1932 die Provisur in Steinerkirchen am Innbach. Nach knapp zwei Jahren wurde er dort Pfarrer.
Unter seiner Hand blühte neues religiöses Leben auf. Den Nationalsozialisten war sein eifriges Wirken, vor allem in der Jugendseelsorge, verhasst.
Zwei Gestapomänner verhafteten ihn nach einer Werktagsmesse in Steinerkirchen am 4. Oktober 1939.
In einer Niederschrift schilderte Heinrich Steiner den Vorfall später so: „,Sie müssen mit!“, hieß es, „wegen Verstoß gegen Paragraph 127 und 128!´“. Mir wurde also vorgeworfen, homosexuelle Beziehungen zu pflegen mit Jungen aus meiner Jugendgruppe. Dass dies ein Vorwand dafür war, damit ich von Steinerkirchen entfernt werden konnte, um so das Durchdringen des Nazismus leichter zu ermöglichen, war mir klar. Nur durch meine Gefangennahme konnte die Arbeit wirksam unterbunden werden, die die Jugend zusammenhielt.
Der Pfarrer wurde am 20. Februar 1940 nach einer zweistündigen Verhandlung vor dem Landesgericht in Wels für schuldig befunden und zu einem Jahr schwerem Kerker mit zwei Fasttagen verurteilt. Unter Anrechnung der Untersuchungshaft sollte er am 4. Oktober 1940 freigelassen werden.
Stattdessen kam er aber vier Tage später ins Konzentrationslager Dachau.
Kurz darauf ließ die Lagerleitung für die Geistlichen eine Kapelle im Priesterblock 26 einrichten. Die Hauptlast der Arbeit mussten die Lagerkapläne dort an einen ebenso tüchtigen wie zuverlässigen Mitbruder übergeben. Das war Pfarrer Heinrich Steiner. Er wurde als "fromm, selbstlos, tüchtig und voll Eifer" geschildert, selbst in der Plantage im körperlich harten Arbeitseinsatz war er ein unermüdlicher und geschätzter Arbeiter. Viereinhalb Jahre Haft unter unmenschlichen Bedingungen musste Steiner erdulden.
Am 26. April 1945 konnte er das KZ endlich verlassen – allerdings nicht in die Freiheit, sondern auf dem größten von mehreren Evakuierungsmärschen, die tausende ausgemergelte Häftlinge durch Erschöpfung oder Erschießungen am Wegesrand noch das Leben kosteten. Fast 7.000 Männer wurden kurz vor der Befreiung des Lagers durch amerikanische Truppen an diesem Tag in Richtung Süden getrieben, das Gros über Gauting und Starnberg am Starnberger See vorbei bis in die Gegend um Bad Tölz. Heinrich Steiner berichtete, dass er für den vier Tage langen Marsch als Proviant ein halbes Brot und eine Wurst bekam. In einer Gruppe von etwa 90 Geistlichen machte er sich auf den Weg ins Ungewisse und nahm auf einem Leiterwagen auch den Kelch aus der Lagerkapelle mit. Die tatsächliche Befreiung kam dann m 30. April für die noch 33 übriggebliebenen Mitglieder der Gruppe in Schaftlach nördlich des Tegernsees.
Am nächsten Tag machte der dortige Pfarrer der Bevölkerung bekannt, dass eine Anzahl Priester aus Dachau eingetroffen sei. Die Leute nahmen sie auf und versorgten sie, bis ihre Heimreise möglich wurde. Heinrich Steiner blieb bis Ende Mai 1945 in Schaftlach.
Mit seinem Kameraden Franz Breitenberger trat er dann die Heimreise an. Der Kapuzinerpater aus Eichstätt war von Beruf Schreiner und hatte 1943 einen Osterleuchter und mehrere Altarleuchter für die Kapelle des Priesterblocks gedrechselt. Wie die beiden die 15 Kilometer bis Rottach am Tegernsee zurücklegten, ist unklar. Dort stellte ihnen der Bürgermeister eine Genehmigung für die Überlassung zweier Pferde samt Geschirr und Wagen aus.
Am 6. Juni 1945 kam Heinrich Steiner mit seinem Begleiter in Steinerkirchen am Innbach an. Aus tiefer Dankbarkeit und Freude wurde am nächsten Tag in der Pfarrkirche ein Dankgottesdienst mit Te Deum gefeiert.
Ein halbes Jahr später nahm die Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen folgende Niederschrift von Pfarrer Heinrich Steiner auf:
„Meine Verurteilung beim Landesgericht Wels am 20. 2.1940 hatte politische Motive zur Ursache. Die Verurteilung nach dem Strafgesetz erfolgte auf Grund einer äußerst aufgebauschten, zum Teil sogar unwahren, Anzeige aus nat. soz. Kreisen in Kematen. Wäre daran etwas gewesen, wäre ja ohnehin die kirchliche Behörde gegen mich eingeschritten. Ich möchte übrigens in dieser Angelegenheit nicht mehr viel sprechen, da sie meines Erachtens ein großes Unrecht bedeutet, dass mir angetan worden ist. Deswegen habe ich auch eine Wiederaufnahme des Verfahrens, um nicht alte Wunden aufzureißen, nicht mehr angestrebt. Ich habe mich hierüber auch mit dem bischöfl. Ordinariat beraten“.
Heinrich Steiner war ein großer Marienverehrer. In Steinerkirchen fanden damals deshalb Wallfahrten zur Gnadenmutter „Maria Rast“ statt. Ein besonderes Anliegen war dem Pfarrer außerdem die Feier der Fatima-Wallfahrt an jedem 13. eines Monats von Mai bis Oktober.
1988 wurde Heinrich Steiner mit einer schweren Krankheit in das Krankenhaus Grieskirchen eingeliefert. Da er seine Tätigkeit als Pfarrer danach nicht mehr ausüben konnte, wurde er anschließend im Marienheim Gallspach aufgenommen.
Am 8.Juni 1989 starb Konsistorialrat Pfarrer Heinrich Steiner dort an einer Lungenentzündung.
Sein Kelch befindet sich heute noch in der Pfarrgemeinde Steinerkirchen und wird für Gedenkmessen manchmal auch verwendet. Einmal kam er sogar wieder nach Dachau. 2018 reisten 150 Gläubige aus Oberösterreich zur dortigen Gedenkstätte. Mit dem Kelch wurde im ehemaligen Konzentrationslager eine Messe im Gedenken an die mehr als 900 Oberösterreicher gefeiert, die dort inhaftiert waren. Mehr als ein Drittel von ihnen starb im KZ oder in einem anderen Konzentrationslager, in das sie weitertransportiert wurden.
Als die Linzer Kirchenzeitung über die Reise berichtete, schrieb ein Pfarrer namens Franz Benezeder in einem Leserbrief: „Das Bild vom Dachauer Kelch auf der Titelseite der Kirchenzeitung berührt mich zutiefst und ruft meine Erinnerungen an einen besonderen Menschen und Priester hervor, der mein Heimatpfarrer in Steinerkirchen am Innbach war. Wir verdanken Pfarrer Steiner, dass dieser Kelch als kostbares Zeugnis nun im Besitz unserer Diözese ist. Wenn mir Pfarrer Steiner den Kelch zeigte, spürte ich, was dieser Kelch ihm bedeutete. Was er aber öfters betonte, war, dass der Glaube, wie das Vertrauen in die Gottesmutter und eben die Feier der hl. Messe, ihnen Kraft gaben, durchzuhalten und zu überleben. Eine Konsequenz seiner Erfahrungen war, dass man nie ein böses Wort über andere Menschen aus seinem Mund hörte. Dieser Kelch steht für mich ganz besonders für das Zentrum unseres Christseins, für die Hingabe Jesu seines eigenen Lebens und ist zugleich Aufruf, aufzustehen gegen Hetze und Hass. Pfarrer Steiner ist und bleibt für mich ein Heiliger“.