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Die Todesangst-Christi-Kapelle: Geschichte und Bedeutung
Die erste Vorsitzende des Verein Selige Märtyrer von Dachau stellt in diesem Artikel das Ergebnis der Quellensuche zu aktuellen Fragen zusammen.
Die Todesangst-Christi-Kapelle auf dem Gelände der Gedenkstätte des KZ Dachau wurde in letzter Zeit die Ursache von kontroversen Diskussionen. Einige Besucher der Gedenkstätte des KZ Dachau stören sich an der katholischen Präsenz in Form der Kapelle auf der verlängerten Mittelachse des Lagers, die durch die Lagerstraße markiert ist. Oft haben diese Besucher zu wenig Informationen über die Entstehung und Bedeutung dieses Gebäudes und ziehen daher voreilig falsche Schlüsse. Es kam zu wenig ehrfurchtsvollen Gesten der Besucher oder gar Aussagen, dass dieses Gebäude hier fehl am Platz wäre.
Es sind auch Aussagen über den Grund der Erbauung der Todesangst-Christi-Kapelle und den daraus folgenden Verwendungszweck zu hören, aus dem sich der Spielraum für die Gestaltung der Todesangst-Christi-Kapelle in unserer Zeit ergeben.
In diesem Artikel soll der Entstehungsgeschichte der Todesangst-Christi-Kapelle nachgegangen werden um die genannten Meinungen mit den Aussagen von Quellen zu vergleichen. Besonders zu Wort kommen sollen dabei ehemalige Häftlinge des KZ Dachau selbst.
Zeitzeugen, noch lebende Häftlinge des KZ Dachau, die von ihren Erlebnissen berichten, werden mit Recht heute geehrt und ihre Worte werden sehr ernst genommen. Oft hört man Sorgen, was sein wird, wenn keine Zeitzeugen mehr leben und von ihren Erlebnissen berichten können? Nur sehr wenige Zeitzeugen leben noch, bald gar keine mehr. Aber es gibt Worte, schriftliche Zeugnisse und Taten von Häftlingen des KZ Dachau. Und viele Häftlinge, insbesondere nach 1945 überlebende Häftlinge, haben ihre Erfahrungen, Erinnerungen und Gedanken in Büchern veröffentlicht, oft zeitnah gleich nach dem Krieg in den späten 1940ger Jahren, so dass sie Erinnerungen noch nicht mit der Zeit verblassen konnten. Es sind auch die Texte von Predigten überlebender Häftlinge erhalten. Von Häftlingen, die in der Haft ermordet wurden, existieren Briefe aus der Haftzeit und andere Dokumente. Sie alle hatten nicht das Glück bis zum Beginn des dritten Jahrtausends zu leben. Ihre Aussagen sollten aber mit der gleichen Achtung als Wegweisungen gelesen werden, wie die Worte Max Mannheimers (gestorben 2016) oder Abba Naors.
Aus diesen Quellen wissen wir: Die Todesangst-Christi-Kapelle wurde nicht ohne inneren Bezug übergriffig von der Kirche auf das Gelände der Gedenkstätte gesetzt, was manche kirchenkritische Besucher der Gedenkstätte annehmen.
Sie wurde von überlebenden Geistlichen gefordert, geplant, gebaut und bezahlt! Dazu später mehr.
Die Todesangst-Christi-Kapelle war gleichsam der erste Teil der Gedenkstätte, der gebaut wurde, als in Bayern eine Gedenkstätte politisch noch undenkbar erschien, aus Anlass des Eucharistischen Weltkongresses 1960 in München. Mit der Errichtung der Todesangst-Christi-Kapelle wurde damit ein turmähnliches Gebäude aufgestellt, das als erstes Gebäude die Würde des Ortes und der Opfer manifestierte, darüber konnte nicht mehr hinweggesehen werden. Die Todesangst-Christi-Kapelle war damit Vorläufer der Gedenkstätte, die erst 1965 eröffnet wurde.
Für überlebende Häftlinge war der Bau einer Kapelle naheliegend: Im KZ Dachau waren ab 1940 insgesamt rund 2.800 Geistliche aus dem ganzen Reich inhaftiert. Die abgegrenzten Blöcke 26, 28 und 30, in denen die Geistlichen untergebracht waren, liegen in unmittelbarer Nähe der Todesangst-Christi-Kapelle.
Im Block 26 befand sich ab Januar 1941 eine Kapelle für diese Gruppe der Geistlichen Häftlinge mit Altar, Tabernakel und sogar der Marienstatue, die heute in der Kapelle des Karmel Heilig Blut zu finden ist. In diesen Blocks und in der Kapelle in Block 26 fand ein überreiches spirituelles Leben statt, dass durch Seelsorge bis ins ganze Lager wirkte. (vgl. https://www.selige-kzdachau.de/index.php/geistliche/geistliches-leben auf unserer Homepage)
Die Existenz diese Kapelle wurde von den Geistlichen selbst als „Wunder“ bezeichnet.
Das berichtete Kaplan Weinmann in einem illegalen Brief vom August 1942: „Ist es nicht letztlich ein Wunder der Allmacht Gottes, dass Christus im KZ ist? … Ist es nicht ein Sieg Christi über den Satan, dass es ihm gelungen ist, an „seine Stätte“ zu kommen … ? Wir spüren hier gar oft die Wunder Gottes…“[1]
Diese Kapelle war für die gefangenen Geistlichen und viele Laien außerhalb des Priesterblocks der kostbare Ort der Gegenwart Gottes. Viele empfingen dort Kraft, Hoffnung und Trost. Ein ganz besonderes Ereignis in dieser Kapelle war eine Priesterweihe am 17.12.1944. Sie geschah im Geheimen, wie ein Wunder: Der französische Bischof Gabriel Piguet, ebenfalls inhaftiert und Häftling, weiht den deutschen Diakon Karl Leisner, ein starkes Zeichen vorweggenommener deutsch-französischer Aussöhnung: "Der Feind kniet vor dem Feind."
Daher war es naheliegend auch nach dem Krieg eine Kapelle auf dem Gelände zu errichten, zuerst war sogar eine Wallfahrtskirche geplant [2], um auch die vielen christlichen Märtyrer unter den Opfern des KZ Dachau zu ehren und in ihrer Nähe nach altem christlichen Brauch die Messe zu feiern.
Todesangst Christi-Kapelle, für was sie erbaut wurde und von wem:
„Schon Ende Juli 1945 wollte der Münchner Erzbischof Kardinal Faulhaber den Opfern des KZ Dachau ein Denkmal, … ein Sühnemal, errichten.“[3], zunächst war dafür der Appellplatz vorgesehen. Das war zu diesem Zeitpunkt aber nicht möglich, da das Gelände von der amerikanischen Besatzungsmacht für SS-Männer und „führende Nazis“[4] als Lager benötigt wurde. In diesem Lager erbauten dann tatsächlich gefangene SS-Männer zur Buße eine Kapelle auf dem Appellplatz unter der geistlichen und seelsorglichen Führung von P. Leonhard Roth, der zuvor selbst Häftling im KZ Dachau gewesen war, was ihn aber nicht davon abhielt im Lager der SS und anschließend im Flüchtlingslager auf demselben Gelände seelsorglich zu wirken und später die Dachauer Pfarrei Heilig Kreuz zu errichten.
Die Häftlingsgruppe des CID (Comité International de Dachau) plante zu dieser Zeit auch ein Denkmal auf dem Appellplatz, was auch nicht umsetzbar war [5].
- Leonard Roth, forderte auf dem Gelände des früheren KZ Dachau ein „religiöses Denkmal“ um von der „vielfach beklagten 'Karnevals-Atmosphäre' … zu befreien und aus dem 'Treffpunkt von Touristen' einen Ort der Stille und Besinnlichkeit, des Gebets und der Sühne zu machen.“ [6] Es scheint, dass heute im Verhalten mancher Besuchergruppen diese Befürchtungen wahr geworden sind.
Am 01.09.1959 kam eine Gruppe mit 30 Priestern und Laien aus England in das Gelände des früheren KZ Dachau „um dort in nächtlicher Anbetung Sühne zu leisten für all die Frevel…“.[7] Anschließend äußerten sich Teilnehmer dieser Gruppe „schwer enttäuscht vom gegenwärtigen Zustand des KZ Dachau“[8] gegenüber Weihbischof Johannes Neuhäusler, der selbst Häftling im KZ Dachau gewesen war, wenn auch nicht im Priesterblock sondern im sog. „Ehrenbunker“.
Der fühlte sich von der Kritik getroffen und wollte daraufhin zum Eucharistischen Weltkongress 1960 in München in großer Eile ein „würdiges, religiöses Mahn- und Sühnemal“[9] errichten. Spenden wurden gesammelt, aussagestark auf einem Bankkonto unter dem Betreff „Sühnemal KZ Dachau.“[10]
Auch die Liturgie der Gedächtnisfeier und Weihe dieses Sühnemals im Rahmen des Eucharistischen Weltkongresses als Nebenveranstaltung, war voll von Gedenken an den Tod Jesu Christi und Bitten um Sühne. [11] 50.000 Gläubige waren dabei und 3.000 „Jungmänner“ trugen aus München ein schweres Kreuz bis zur Todesangst-Christi-Kapelle. Zahlreiche Überlebende des Priesterblocks waren am Gottesdienst beteiligt, der spätere Kardinal Adam Kozlowiecki, Exhäftling, zelebrierte eine Messe für die 3.000 Männer vor dem Aufbruch zur Wallfahrt, Domkapitular Reinhold Friedrichs, Exhäftling und frühere Dekan der Priestergemeinschaft im KZ Dachau leitete den Gottesdienst mit den Worten ein: „Wir hören die Zeugen aus dem Konzentrationslager und das Zeugnis vom Todesleiden unseres Herrn.“[12]
Der Exhäftling und Laie, der österreichische Altbundeskanzler Leopold Figl (https://de.wikipedia.org/wiki/Leopold_Figl), sprach aus eigener Erfahrung von der „Tröstung und Stärkung… und der Vereinigung mit dem Leiden Christi“, die gequälte Gefangene in der Lagerkapelle, im Block 26 empfingen. [13] Er war Laie und hatte sich trotz großen Risikos illegal in die Kapelle des Priesterblocks geschlichen, um an der täglichen Messe teilzunehmen und den eucharistischen Herrn zu empfangen.
Kardinal Kozlowiecki (https://de.wikipedia.org/wiki/Adam_Koz%C5%82owiecki), ehemaliger Häftling im Priesterbloch, sprach ebenfalls. Er berichtete von der Aussage eines Wächters, nach dem Grund für die Haft gefragt: „Weil ihr eine andere Weltanschauung habt, die uns nicht gefällt.“[14] Damals war das Wissen um die Verfolgung der katholischen Kirche unter der Herrschaft des Nationalsozialismus noch weit verbreitet.
Auch Edmond Michelet (https://de.wikipedia.org/wiki/Edmond_Michelet), französischer Justizminister, Exhäftling und Laie, kam zu Wort: „… Niemals habe ich die tiefe Bedeutung und die verständliche Seite des Glaubenssatzes von der ‚Gemeinschaft der Heiligen‘ besser verstanden.“[15] Ihm war die Gegenwart der Heiligen an diesem Ort schon als Lagerhäftling bewusst. Leider ging dieses Bewusstsein bis heute verloren.
Anschließend berichtete er von den geheimen Messen polnischer Geistlicher auf ihren Blocks (28 und 30, ab September 1941 durften nur noch deutsche Geistliche die Lagerkapelle betreten). Er sagte: „Eine der Todesangst Christi und damit der verfolgten Kirche des Schweigens geweihte Kapelle steht hier wirklich am rechten Platz“[16]
Ein Seligsprechungsverfahren läuft für die beiden Laien und Politiker Michelet und Figl! [17]
Der Altar der Todesangst-Christi-Kapelle wurde mit Spenden von den Expriesterhäftlingen aus Deutschland [18] errichtet, die Glocke am Glockenturm vor der Kapelle bezahlten österreichische überlebenden Häftlinge [19].
Das ganze Projekt der Errichtung der Todesangst-Christi-Kapelle wurde beauftragt und durchgeführt von Johannes Neuhäusler, ebenfalls früher Häftling im KZ Dachau (s.o.). Die Tafel zum Gedenken an die polnischen Geistlichen in der Gemeinschaft der Geistlichen im KZ Dachau, auf der Rückseite der Todesangst-Christi-Kapelle, ist eine Stiftung der Überlebenden polnischen Dachau-Häftlinge[20].
Die Todesangst-Christi-Kapelle wurde also nicht von der kath. Kirche von außerhalb kommend auf dem Gebiet der heutigen Gedenkstätte erbaut wurde, sozusagen grenzüberschreitend gegen den Willen der ehem. Häftlinge. Sie wurde geplant, erbaut und finanziert von Häftlingen selbst, Laien und Geistliche sahen in ihr die Fortsetzung der Gottesdienste in den Priesterblocks. Ihr Wille sollte auch heute geachtet werden, auch von Angehörigen anderer Weltanschauungen.
Erstaunlicherweise war Sühne am Anfang das wichtigste Anliegen beim Bau der Todesangst-Christi-Kapelle. Diese Sühne hatten die Geistlichen schon in den Jahren zuvor, während der Haft mit ihren Qualen zum wichtigen Anliegen und Inhalt des Tagewerkes gemacht. ( vgl. : „ Mein Lieber, wir müssen das Sühneopfer sein für die großen Verbrechen unserer Zeit“[21]
Einige der Märtyrer des KZ Dachau haben Gott ausdrücklich ihr Leben aufgeopfert als Sühne für die vielen Vergehen um sie herum und im ganzen zweiten Weltkrieg. (vgl. z.B. seliger Bischof Michal Kozal und der selige P. Engelmar Unzeitig)
Auch wenn der Begriff Sühne heute nicht mehr so weit verbreitet ist wie in den 40ger, 50ger und 60ger Jahren des letzten Jahrhunderts, so ist dieses ihr Anliegen zu achten.
(Eine Definition des Begriffes Sühne, wie sie die gefangenen Priester sahen, ist bei P. Löwenstein, gefangener Im Priesterblock und Sakristan der Kapelle im Block 26 zu finden: „Sühne ist das Angebot dessen, der voll Versöhnlichkeit dem Täter die Schuld vergeben hat und ihm die Sühne anbietet als eigenen Beitrag im Prozess der Versöhnung. Sühne ist ein Geschenk an den, der sich versöhnen lassen möchte und von Gott nicht zum reinen Objekt der Vergebung degradiert wird. So hat das Volk Israel den Versöhnungsritus nie als etwas von Menschen Gemachtes, sondern immer als von Gott gnädig Gegebenes gesehen. Diese Sühnung ist in Jesus ein für alle Mal geschehen und der Glaubende kann an ihr Anteil haben, indem er sich in glaubendem Vertrauen an die Seite dessen stellt, dessen Herz am Kreuz durchbohrt wurde.“[22])
Die Kontinuität des Gebetes, der Sühne und des Opfers, vereint mit dem Opfer Christ vergegenwärtigt im Messopfer, besteht seit der Kapelle im Priesterblock 26 bis heute in der Todesangst-Christi-Kapelle.
Leider wissen viele Besucher der Gedenkstätte kaum etwas von der Priestergemeinschaft im KZ Dachau und nichts über die Kapelle im Block 26, wenn sie die Todesangst-Christi- Kapelle sehen. Die Lage der Kapelle des Priesterblocks[23] ist bis heute nicht gekennzeichnet und selbst für interessierte Besucher nicht zu finden. Noch weniger ist den Besuchern der Gedenkstätte bekannt über den Hl. Titus Brandsma und über die 56 Seligen Märtyrer von Dachau, die in den Priesterblock und anderen Orten des KZ Dachau litten und ermordet wurden, nichts über die hunderten christlichen Märtyrer, deren sterbliche Überreste auf dem Gebiet des Krematoriums vermischt mit der Asche der übrigen ermordeten Häftlinge ruhen.
Deshalb empfinden Besucher heute den Anblick der Todesangst-Christi-Kapelle, eines sakralen christlichen Gebäudes, als fehl am Platz. Da es den Besuchern oft fremd ist zu beten, wird die Todesangst-Christi-Kapelle für eine Sitzpause und zum Hören der Audioguides genutzt. Auch das darf sein, aber die Einladung zum Gebet durch diesen Ort ist offensichtlich nicht bei diesen Besuchern angekommen. Da sollte noch überlegt und nachgebessert werden. Den Besuchern bleibt verborgen, dass die Todesangst-Christi-Kapelle als ein Ort des Gebetes und der Sühne errichtet wurde und bis heute dazu einlädt.
Noch ein Blick zurück in die Geschichte: Kurz nach der Befreiung des KZ Dachau durch amerikanische Truppen am 29.04.1945, feierten die Häftlinge zwei große Feste. Das erste fand am 01.05.1945, am Tag der Arbeit statt und war besonders für die politischen Gefangenen mit sozialistischem oder kommunistischem Hintergrund wichtig. Am 03.05.1945 feierten die Gefangenen einen gemeinsamen Gottesdienst:
Für diesen Gottesdienst wurde ein „geradezu turmhohes Kreuz“[24], auf dem Appellplatz errichteten. Ein Vorgänger der Todesangst-Christi-Kapelle? „Die Häftlinge hatten es gezimmert und mit großer Mühe aufgerichtet. „Siegreich schaut das Christuskreuz über das befreite Vernichtungslager des Hakenkreuzes. An seinem Fuß ist eine Freitreppe gebaut mit 10 Stufen. Obenauf der Altartisch, überreich mit Blumen und Kränzen geschmückt. … Heute am 03. Mai, war ein großer Aufmarsch der Nationen. In schöner Ordnung gruppierte sich das großartige Bild um den Kreuzaltar. Auch eine Abordnung amerikanischer Soldaten war erschienen. …“[25] Kanzel, Sängerchor und Lautsprecheranlage waren auch da. „Sie trug Predigt, Gesang und Gebet über das weite Lager hin. So wurde das heilige Opfer der Erlösung dargebracht. Feierlich senkte sich zur heiligen Wandlung der Fahnenwald in Huldigung vor Christus, dem König. Vierzig Nationen der Erde- die Welt von Dachau- huldigten ihrem Retter und Erlöser, feierten betend und dankend Christus, den Sieger von Dachau!“[26]. Eine bewegende Beschreibung.
Dieses wörtliche Zitat stammt von einem überlebenden Häftling des KZ Dachau, dem Geistlichen Eugen Weiler. Auch wenn wir seinen Pathos für uns etwas in unsere heutige Sprache übersetzen müssen, zeigt dieser Bericht, dass alle überlebenden Häftlinge, unter ihnen noch 1240 Geistliche, dem Glauben an Gott, einem Gottesdienst und sogar einem hohen Kreuz auf dem Appellplatz (heute unvorstellbar) zustimmten.
Der polnische Bischof Jez, ebenfalls selbst Häftling in den Priesterblocks, erzählt aus einer anderen Perspektive: „Am 03. Mai wurde auf dem Appellplatz von den Polen eine feierliche Messe zelebriert. Wir stellten ein großes, herrliches Kreuz auf. Am Altar war ein Bildnis der Gottesmutter von Tschenstochau, gemalt von Pfarrer Sarnik. …“ (einem der befreiten polnischen Geistlichen). Der Festprediger erzählte, „dass er bei den unzähligen Appellen, … immer die Gewissheit in seinem Inneren gespürt habe, dass man einmal hier die heilige Messe feiern würde und dass dies der Platz der kirchlichen Begegnung sein würde.“[27]
Ich deute das als Zustimmung der überlebenden Häftlinge zur Errichtung einer katholischen Kapelle. Sie ersehnten eine Messe auf dem Appellplatz, dauerhaft war dieser Ort als Standort für eine Kapelle aber nicht verfügbar, s.o..
Erwähnt muss auch werden, dass schon am Befreiungstag, dem 29.04.1945 ein Militärgeistlicher der amerikanischen Befreier zu den Häftlingen sprach: „“Und Gott ist dennoch gut!“- so ruft er in die schweigende Menge.- „Hier, am Ort so vieler Gräuel, schenkt er euch die Stunde der Erlösung! Es geziemt sich, zu beten“. Dann betet er laut vor [das Vater unser], macht das Kreuzzeichen über das Lager und winkt grüßend mit seinem Helm.“[28] Soweit der Bericht Eugen Weilers, Überlebender Geistlicher und Häftling. Bischof Ignacy Jez berichtete in seiner Autobiografie: „über Lautsprecher erfuhren wir, dass wir frei waren. Dankt Gott für die wiedererlangte Freiheit!“[29]
Bei der Befreiung und kurz danach war der christliche Glaube, Kreuz und Gottesdienst selbstverständlich Teil des Geschehens im befreiten Lager. Es war selbstverständlich für die amerikanischen Befreier zu beten und zu segnen. Es scheint für alle Häftlinge aller Nationen Konsens auf dem Appellplatz ein riesiges Kreuz zu errichten und Messe zu feiern.
Auch das zeigt: Eine Kapelle hier zu errichten, wie das Kreuz Anfang Mai 1945, ist aus der Mitte der Häftlinge gekommen, nicht von außerhalb von einer „hochmütigen katholischen“ Kirche aufgedrängt worden, die am Leid der Häftlinge gar nichts beteiligt gewesen wäre.
Hier noch weitere bewegende Ausschnitte aus Predigten überlebender Geistlicher, die uns nachspüren lassen, wie sie dachten und um zu erfahren, warum die Todesangst-Christi-Kapelle errichtet wurde:
Bischof Majdanski, überlebte als junger Geistlicher das KZ Dachau, predigte am 05.04.1987 beim Gottesdienst zur Einweihung des Denkmals in der Gedenkstätte des KZ Sachsenhausen (wo auch eine wesentlich kleinere Gruppe Geistlicher einige Monate gefangen war): „Wir befinden uns hier nicht an einer Stätte der Niederlage, auch nicht der Niederlage der Menschenwürde. Es gab hier einen Kampf und zwar einen grausamen Kampf. Aber ich versichere: Die Konzentrationslager wurden zu Stätten sehr vieler Heiligung, wenn auch oft auf eine ganz stille Weise. Und heilig zu werden, bedeutet, den größten Sieg davonzutragen. Und so eine Stätte ist hier – wie auch anderswo, wo sich KZs befanden. Wir haben wunderbare Beweise dafür.“[30] Majdanski erwähnt den Hl. Maximilian Kolbe, Titus Brandsma (damals war er schon seliggesprochen, seit dem 15.05.2022 heiliggesprochen) und von Bischof Michal Kozal, dessen Seligsprechung unmittelbar bevorstand. „Und im Himmel werden wir die ganze Schar von Siegern, das heißt von KZ-Heiligen sehen können.“[31]
1989 predigte Bischof Majdanski in der Todesangst-Christi-Kapelle aus Anlass des 50. Jahrestag des Einmarsches der deutschen Truppen in Polen, bei der Messe am 27.06.1989. Er erinnerte an den seligen polnischen Bischof Michal Kozal: „Wir verkünden also zuerst, dass diese Stelle heilig ist! Sie ist heute auch als heilig markiert: Hier ist die Todesangst-Christi-Kapelle, hier befindet sich eine protestantische Kapelle und ein jüdischer Tempel, hier befindet sich der Karmel Heilig Blut. Und das alles mit vollem Recht, da hier gefoltert wurde und viele Menschen den Tod fanden….“[32] „Hier wurden die Bekenner Jesu gefoltert und fanden oft den Tod. Wir glauben, es waren Märtyrer Gottes. Also erinnert diese Stätte an die römischen Katakomben und an das römische Kolosseum. … Hier war die Stätte der heroischen Überwindung 'des Bösen durch das Gute' (Röm 12,21); des Abgrundes des Bösen durch die Gewalt des Guten; des schrecklichen Bildes des Hasses durch die Unendlichkeit der Liebe. Hier war die Stätte innigen Gebetes – derjenigen, die starben und derjenigen, die noch lebten, obwohl auf Schritt und Tritt der Tod ihnen folgte… Hier fand im geheimen die Eucharistiefeier statt und hier Verkündigung des Wortes Gottes, auch um den Preis blutiger Schläge. … Hier, wo eine einzigartige Priesterweihe stattfand, vollendet sich das Lebensopfer derjenigen, die für die Treue der Berufung starben… .“[33]
Weiter sprach er: „Man darf hier in Dachau beten an der Stelle, wo der Märtyrerbischof am 26.01.1943 in die Seligkeit einging [der selige Bischof Michal Kozal ist gemeint] … wie der Krakauer Kardinal kurz vor seiner Wahl zum Papst [gemeint ist der spätere heilige Papst Johannes Paul II., der kurz vor seiner Wahl zum Papst die Gedenkstätte besuchte. Es existiert ein Foto, das ihn vor der Todesangst-Christi-Kapelle zeigt] ... wie so viele – gestern, heute und morgen. Man darf an dieser wirklich heiligen Stätte beten. Man darf und soll zu dieser heiligen Stätte pilgern.“ 33
Leider erfahren Besucher der Gedenkstätte von all dem oft zu wenig. Das Wissen um die Gemeinschaft der Geistlichen im KZ Dachau und den Märtyrern kann ein interessantes, weiteres Detail zum KZ Dachau für alle Besucher und Interessierten sein, denn es ist eine historische Tatsache. Für Menschen, die sich davon ansprechen lassen und für Gläubige, kann die Todesangst-Christi-Kapelle Trost, Hoffnung und sogar ein wichtiger Glaubensimpuls sein am Ende des Rundgangs durch die Gedenkstätte. Oft sind Besucher dann Besucher traurig und bedrückt von so viel Gewalt, Grauen, Mord und Leid.
Mir fällt der Verhaftungsgrund des seligen Gerhard Hirschfelder (https://selige-kzdachau.de/index.php/selige/haeftlinge-des-kz-dachau/gerhard-hirschfelder) ein: In der Auseinandersetzung mit der Hitlerjugend, die vor Ort christliche Bildstöcke zerstört hatte, sagte er in einer Predigt: „Wer der Jugend Christus aus dem Herzen reißt, ist ein Verbrecher“. Er hielt den Glauben an Christus für wert dafür zu sterben, weil er in ihm eine große und kostbare Hilfe für das Leben gefunden hatte. Sein Zeugnis kann anregen, dass Informationen zum Glauben und den Geschehnissen und Erlebnissen der Geistlichen im KZ Dachau allen angeboten werden sollten.
Noch einige Gedanken zur evangelischen Versöhnungskirche, ebenso auf dem Gelände der Gedenkstätte des KZ Dachau errichtet, allerdings erst 1965-1967. Diese Kirche hat eine ganz andere Entstehungsgeschichte und einen anderen Zweck. (Vgl. Internetseite der Versöhnungskirche https://www.versoehnungskirche-dachau.de/system/files/dateien/flyerversoehnungskirche2_1.pdf)
Die Initiative zum Bau der evangelischen Versöhnungskirche ging von niederländischen Gläubigen, überlebenden des KZ Dachau, aus. Sie wussten, dass die evangelische Kirche in Deutschland im 3. Reich auf Seiten des NS-Staates war, ganz anders als die deutsche katholische Kirche, die ausgerichtet war auf ihr Oberhaupt, den Papst in Rom und damit international geprägt und daher in Struktur und inhaltlich antinationalsozialistisch. Dagegen waren 80 % der evangelischen Pastoren im Deutschen Reich Mitglieder der NSDAP[34]. Aus diesen Gründen gab es für die ev. Kirche tatsächlich wenig Gründe für die Errichtung einer Kapelle auf dem Gelände der zu diesem Zeitpunkt schon bestehenden Gedenkstätte. So wollten die Stifter, dass die Versöhnungskirche für alle Opfer des KZ Dachau und Besucher der Gedenkstätte da sein sollte. Ein sehr schöner Gedanke.
Allerdings sollten zu „allen Besuchern“ auch Katholiken gehören, für die hier ein heiliger Ort ist, Märtyrerboden und Ort der Gegenwart Gottes. Es gibt Katholiken, die hier die heilig- und seliggesprochenen Opfer des KZ Dachau verehren und um ihre Fürsprache bitten wollen!
Glaubenszeugen und Vorbilder braucht unsere Gesellschaft heute so nötig wie zu allen Zeiten, von ihnen zu wissen und zu lernen kann allen einen guten Impuls für ihr Leben geben. Sie sind für alle da.
Monika Volz
Die Autorin ist 56 Jahre alt, Mutter von 3 erwachsenen Kindern und lebt in Dachau. Sie wurde in München geboren und studierte Verwaltungswissenschaften. Ihr Onkel war selbst Häftling im KZ Dachau. Sie ist Gründerin und erste Vorsitzende des Vereins Selige Märtyrer von Dachau e.V. und engagiert sich seit Jahren für das Gedenken der christlichen Märtyrer unter den Häftlingen des KZ Dachau. 2022 wurde sie mit dem P. August-Benninghaus-Preis für ihr Engagement geehrt.
[1] Weinmann S 166, illegaler Brief August 42, Zeit der Hungertoten
[2] P. Roth an Weihbischof Neuhäusler, 21.01.1960, Norbert Göttler, Die Akte Pater Leonhard Roth, Sein Leben und Sterben im Einsatz für Gerechtigkeit und historische Wahrheit, Dachauer Dokumente/ Band 6, Dachau 2004, S. 88
[3] Dr. Johannes Neuhäusler 1888-1973, Weihbischof in München, Wie war es in Dachau? Ein Versuch der Wahrheit näher zu kommen, 7. Auflage 1996, S. 69
[4] Dr. Johannes Neuhäusler, Weihbischof in München, Wie war das im KZ Dachau, München 1996, 16. Auflage, S. 70
[5] Neuhäusler, aaO. S. 70
[6] Neuhäusler, aaO S. 70
[7] Neuhäusler, aaO S. 70
[8] Neuhäusler, aaO S. 70
[9] Neuhäusler, aaO S. 71
[10] Neuhäusler, aaO S. 71
[11] Neuhäusler, aaO S. 72
[12] Neuhäusler, aaO S. 75
[13] Neuhäusler, aaO S. 75
[14] Neuhäusler, aaO S. 76
[15] Neuhäusler, aaO S. 77
[16] Neuhäusler, aaO S. 77
[17] Vgl. Liste Seligsprechungsverfahren www.selige-kzdachau.de
[18] Boßler, Elia, aaO, S. 8
[19] Boßler, Elia, aaO, S. 10
[20] Boßler, Elia, aaO, S. 12
[21] Weinmann S. 177
[22] P. Martin Löwenstein , Andere Zeiten Magazin 2/2014, S. 21
[23] Zum Begriff Pfarrer, Priester, Pastorenblock: Die SS nannte diese Blocks Pfaffenblocks. Die katholischen Geistlichen entweder ironisch genauso oder Priesterblock. Pfarrer Wilms sprach vom Pastorenblock. Dr. Mensing, Pfarrer an der evangelischen Kirche in der Gedenkstätte des KZ Dachau, fordert den Begriff Pfarrerbloch zu verwenden, da die 113 evangelischen Pastoren keine Priester waren. Unter den Katholischen Geistlichen waren aber 1.868 keine Pfarrer, sondern Odensgeistliche, Kapläne… Es erscheint mir ungerecht, dass wegen 113 Pastoren 1.868 katholische Geistliche unter dem Begriff „Pfarrer“ subsumiert werden. Grundsätzlich ist diese Diskussion aber nicht nachvollziehbar und widerspricht der Botschaft der Geistlichen in den Blöcken 26, 28 und 30. (Zahlen nach Eugen Weiler, die Geistlichen von Dachau, S. 64f und 744ff.
[24] Weiler, Eugen, Biographie ... Lenz, S. 264, Vermutlich Worte v. P. Lenz
[25] Weiler, Biographie, a.a.O. S. 264
[26] Weiler, Eugen, Biographie ... Lenz, S. 264f
[27] Jez, Ignacy, Licht und Dunkel preiset den Herrn! Als polnischer Priester im KZ Dachau, Würzburg 2007, S. 79
[28] Weiler, Biographie, a.a.O. S. 261f
[29] Jez, Ignacy, Licht und Dunkel preiset den Herrn! Als polnischer Priester im KZ Dachau, Würzburg 2007, S. 76
[30] Majdanski, Kazimierz, Ihr werdet meine Zeugen sein…, meine Zeit im KZ, Mittelbiberach 1995, S. 182f
[31] Majdanski, a.a.O. S. 184
[32] Majdanski, a.a.O. S. 185
[33] Majdanski, a.a.O. S. 185
[34] Dr. Mensing, Pfarrer der Versöhnungskirche, gegenüber der Autorin